Das Chancenaufenthaltsrecht hilft vor Ort

Die Geschichte von Naweed S.

Die neue Wohnung ist noch kahl, es gibt einen Stuhl und Matratzen auf dem Boden. Seit wenigen Wochen wohnen Naweed S., 28, und seine Frau hier. Im letzten Jahr haben sie geheiratet. 2015 ist Naweed aus Afghanistan geflohen. Er ist als ältester Sohn der Familie in einem kleinen Dorf aufgewachsen und dann nach Kabul gegangen. Dort hat er als Schauspieler in Unterhaltungsshows gearbeitet. Sein Ziel war der Journalismus, am liebsten das Fernsehen. Sein Heimatdorf war bereits von den Taliban besetzt, die Naweed rekrutieren wollten. Sein Onkel hat sich vor ihn gestellt und dies mit dem Leben bezahlt. Von den Eltern gewarnt und von einer Schwester in Kanada mit 3000 $ ausgestattet, ist Naweed geflohen, zunächst mit unklarem Ziel. In zwei Monaten ist er über den Iran, die Türkei und Griechenland nach Deutschland gekommen. Immer wieder musste er Schleusern viel Geld zahlen, so für eine Bootsfahrt auf eine griechische Insel 1000 €. Über Trier und Bad Kreuznach kam Naweed bald nach Ludwigshafen.

Leben in Angst und Unsicherheit

Hier schildert er eindrücklich sein Leben in Zelten, Containern oder in Wohnungen, immer mit mehreren anderen Männern eng zusammen. Er erzählt von Schmutz und Lärm, von Kakerlaken, wochenlang nicht abgespülten Töpfen und seinen Bemühungen um Ordnung, Sauberkeit und Ruhe. Er bekommt Duldungen immer nur für drei oder sechs Monate, lebt in der Angst, irgendwann abgeschoben zu werden. Einmal rettet ihn ein Rechtsanwalt vor der Abschiebung, was Naweed aber 1500 € kostet. Geflüchtete aus Afghanistan hatten damals meist keinen regulären Zugang zu Integrationskursen und Naweed kann nur für kürzere Zeit Deutsch-Kurse belegen; trotzdem lernt er recht gut Deutsch. Er will unbedingt arbeiten und findet rasch eine erste Anstellung bei Amazon. Später nimmt er alle möglichen Beschäftigungen an, oft scheitert es aber an einer fehlenden oder ausgelaufenen Arbeitserlaubnis. Beim Ausländeramt bekommt er häufig wochenlang keinen Termin. Duldungen laufen aus, ohne Chance auf eine rechtzeitige Verlängerung und die Angst vor einer Abschiebung nimmt stark zu in diesen Zeiten. Vergeblich bemüht er sich um eine Ausbildungsmöglichkeit. Er nimmt Fahrstunden, dann darf er aber die Fahrprüfung nicht machen, weil das bei Geduldeten nicht gehe. Die Enttäuschung schwingt heute noch in der Stimme mit.

Naweed kann zunächst kein Konto eröffnen und kommt nicht an einen Handy-Vertrag. Jeder kleine Schritt in Deutschland ist schwierig. Dann wird die Mutter krank, Brust-Krebs. Er schickt noch mehr Geld nach Hause für ihre Behandlung. In dieser Zeit wird er tief depressiv und unternimmt einen Suizidversuch. Im Herbst 2023 ist die Mutter gestorben. Naweed hat seine Mutter nicht mehr sehen können, auch weil Geduldete keine Möglichkeit einer Wiedereinreise haben.

Das neue Chancen-Aufenthaltsrecht

Durch das inzwischen in Kraft getretene Chancenaufenthaltsrecht hat Naweed im Frühjahr 2023 erstmals eine Aufenthaltserlaubnis für 18 Monate erhalten. Jetzt kann er endlich ein Auto versichern, das er braucht, um zur Arbeit zu kommen. Er arbeitet jetzt als Fahrer und transportiert vor allem behinderte Menschen und Patient*innen. Im Herbst 2024 wird er nochmals eine Aufenthaltserlaubnis für 18 Monate und danach dann die Einbürgerung beantragen können. Er heiratet eine Afghanin aus Kandahar, die 2016 mit ihrer Mutter nach Deutschland kam. Sie hatte das Glück früh eine Beschäftigung für viele Jahre zu finden. Im Herbst 2023 bekommen die beiden eine Wohnung der GAG.

Das Gesetz zur Einführung eines Chancen-Aufenthaltsrechts ist am 31.12.2022 in Kraft getreten. Danach können Menschen, die sich zum Stichtag 31. Oktober 2022 fünf Jahre lang in Deutschland aufgehalten haben, nicht erheblich straffällig geworden sind und sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekennen, eine 18-monatige Aufenthaltserlaubnis bekommen. Damit können sie die notwendigen Voraussetzungen für ein Bleiberecht erfüllen, u.a. die Sicherung des Lebensunterhalts und die Klärung der Identität. Mit dem Chancen-Aufenthaltsrecht sollen Kettenduldungen verhindert und die Zahl der Langzeitgeduldeten reduziert werden. Zum gesetzlichen Stichtag hatten sich 248.182 geduldete Ausländer*innen in Deutschland aufgehalten, davon 137.373 seit mehr als fünf Jahren.

Zum Chancenaufenthaltsgesetz teilte die Stadt Ludwigshafen Ende 2023 auf Anfrage mit, dass im Zuge der Einführung des Chancenaufenthaltsgesetzes eine Mitarbeiterin zur Bearbeitung der aufkommenden Anträge abstellt und Personen, welche aufgrund der Gesetzesvorgaben für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach dem Chancenaufenthaltsgesetz in Frage kommen, proaktiv durch die Ausländerbehörde Ludwigshafen informiert wurden.
Zum Stand 10/2023 seien 286 Anträge im Rahmen des Chancenaufenthaltsgesetzes (Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 104 AufenthG) gestellt und davon 206 Anträge positiv beschieden worden; 34 Anträge seien aus verschiedenen Gründen (z.B. bestehende Straftaten) abgelehnt worden; 38 Antragstellern habe eine Aufenthaltserlaubnis auf anderer Rechtsgrundlage erteilt werden können, die übrigen Anträge befänden sich noch in Prüfung. (Abt. Aufenthalstrecht, Alexander Wild, aufenthaltsrecht@ludwigshafen.de).

Kommentare

Dazu erklärt der Grüne Bundestagsabgeordnete Armin Grau aus Altrip:

„Mich hat die Geschichte von Naweed S. sehr bewegt. Sie ist ein Beispiel für das harte Los vieler Geflüchteter auf ihrem Weg nach Deutschland, aber auch in unserem Land. Ich bin froh, dass wir ein humanes Asylrecht haben, das wir unbedingt erhalten und stärken müssen. Viele Menschen kommen mit dem starken Wunsch zu uns, sich zu integrieren und bei uns zu arbeiten. Wir haben über viele Jahre hinweg die Chancen, die darin liegen, ungenutzt gelassen. Dabei brauchen wir jedes Jahr rund 400.000 mehr Einwanderungen als Auswanderungen für unseren Arbeitsmarkt.

Mit dem Chancenaufenthaltsrecht hat die Ampelregierung für viele Geflüchtete die Perspektive geschaffen, den Kettenduldungen zu entrinnen. Das Beispiel von Naweed S. und die beeindruckenden Zahlen aus Ludwigshafen zeigen, dass das Gesetz wirkt. Ich habe mich sehr gefreut, dass die Stadt Ludwigshafen extra eine Mitarbeiterin für die Anträge zum Chancenaufenthaltsgesetz abgestellt und dass das Ausländeramt mögliche Antragsteller*innen proaktiv angeschrieben hat. Ich finde es auch sehr gut, dass die GAG dem jungen Paar eine Wohnung zur Verfügung gestellt hat. Mein Dank gilt den vielen Menschen, die in der Geflüchtetenhilfe aktiv sind und Menschen wie Naweed unterstützen. In krisenbelasteten Zeiten wie den unseren, ist es so wichtig, dass wir unsere Humanität bewahren.“

Die Stadträtin und sozialpolitische Sprecherin der Grünen Ludwigshafens Gisela Witt ergänzt: “Ich kenne Naveed S. schon länger und habe miterlebt wie nervenaufreibend die Phase der Duldung für ihn war. Herr Naveed S. war und ist ein hochmotivierter Mensch, der sich gern schon viel früher hier in Deutschland integrieren wollte. Herr Naveed S. ist jung und intelligent , es ist schade, dass wir ihm nicht schon lange in eine Ausbildung vermittelt haben. Er könnte schon lange einer der begehrten Fachkräfte und Steuerzahler sein.